ORL Praxen Küsnacht

Muss man unter Nasenpolypen leiden ?

Die Nase läuft, mal wässrig – mal rinnt Schleim nach hinten und nervt. Ich bekomme kaum Luft und muss immer durch den Mund atmen. Nachts wache ich auf und der Mund ist trocken, rau wie in einem Sandsturm in der Sahara. Ich stehe auf und trinke Wasser, das hilft wenigstens einen Moment. Kaum eingeschlafen, stösst mich meine bessere Hälfte an „Du schnarchst!“ Morgens wache ich gerädert auf. Meine Arbeitskollegen fragen ständig, ob ich erkältet sei – meine Stimme töne so nasal. Oder rümpfen die Nase, weil ich häufig schniefe. So richtig Energie hatte ich schon lange nicht mehr. Unter Freunden trinken wir ein Glas Wein und der Reihe nach loben alle die schönen Noten: Ah, wie das nach Zimt oder Pflaume schmeckt, und die Schokoladetöne im Abgang !!! Nun, eigentlich schmeckt das nur süss oder auch mal sauer und bitter – ich schweige besser… Eine verstopfte Nase ist lästig – und Polypen können die Krönung des Lästigen sein. Aber was sind Polypen?

Medizinisch betrachtet, eine Fehlreaktion aus uralten Zeiten. Polypen können aus vielen Gründen entstehen – der häufigste Auslöser ist eine fehlgeleitete Immunreaktion, die aus unserem ältesten genetischen Archiv stammt : Das Immunsystem setzt Killerzellen (eine Art Selbstmordattentäter mit Giftstoffen) frei, welche als Reaktion auf Schleimhautreize über die Blutbahn durch die Schleimhaut der Siebbeinzellen (Bild) an die Nasenoberfläche treten, dort explodieren, Gifte freisetzen und damit die eigene Schleimhaut schädigen. Diese reagiert mit einer Schwellung und bildet gallertartige Wasserblasen, die die Nase verstopfen. Nicht sehr hilfreich ! Aber warum kam es dazu ? Wie konnte sich so eine katastrophale Reaktion entwickeln ? Dazu muss weit in der Evolution zurückgeblättert werden. Alles begann, als Lungenfische einen Trick entwickelten, ihr Riechorgan vor Parasiten zu schützen. Das Geruchsorgan an der Wurzel unserer Nase war der ursprünglichste Sinn von Lebewesen, der half, Nahrung zu finden. Wenn das Geruchsorgan von Pilzen überwuchert wurde, konnte es keine Nahrung mehr riechen und der Lungenfisch verhungerte. Dagegen half eine Art „Winkelried“-Manöver. Die Fische setzen Immunzellen frei (eine Form von weissen Blutkörperchen, sogenannte eosinophile Granulozyten) welche an die Oberfläche des Geruchsorgans traten, sich auflösten und Bläschen mit stark oxidierenden Substanzen freisetzten. Diese Stoffe zersetzen die Zellwände in ihrer Umgebung. Da die Haut der Fische – wie auch unsere Schleimhaut – von einer Schleimschicht bedeckt war, wurde sie nicht beschädigt. Die aufsitzenden Pilzzellen jedoch schon. Sie wurden durchlöchert, starben ab und wurden von der konstanten Meerwasserströmung samt Giftstoffe weggespült. Das Geruchsorgan war wieder sauber und konnte seine Riecharbeit verrichten – sehr elegant. 

Nun, wenn wir die Veranlagung zu dieser Reaktion in unserem genetischen Archiv freischalten ist die Reaktion fatal. Unsere Nasen werden nicht mehr konstant durch Meerwasser gespült und daher bleiben die freigesetzten Gifte in der Schleimhaut und schädigen uns selbst. Rund 5% der europäischen Bevölkerung haben diese Veranlagung und entwickeln in der Folge Polypen. Nur ein Teil der Nase entwickelt diese Reaktion. Die Siebbeinzellen – das älteste Immunsystem der Wirbeltiere. Beim Menschen eigentlich schon längst durch andere weiterentwickelte Systeme abgelöst. Hier ist der Moment gekommen, die Nase genauer zu betrachten : Sie besteht aus zwei Kanälen um die Nasenscheidewand, die die äussere Nase trägt. Zu beiden Seiten befinden sich drei Muscheln (Bild normale Nase endoskopisch und CT-NNH coronar normal) Zuoberst das älteste Organ, die Riechmuschel an deren Mitte sich Riechzellen befinden. Eine Etage weiter unten befindet sich das Siebbeinsystem, das das Tor zu den grossen Nebenhöhlen bildet welches ursprünglich das Riechorgan wie eine Polizeikaserne bewachen und schützen sollte. Wenn es nun in Aufruhr versetzt wird, schwillt es an, produziert übermässig Schleim und verstopft die grossen Nebenhöhlen und kann Druck sowie eine blockierte Nasenatmung verursachen. Aber eben auch Zellen freisetzen, welche die Situation noch verschlimmern. Zuunterst entwickelte sich erst viel später in der Evolution der Nasenkanal, welcher für die heutige Atmung an Land zuständig ist. Hier befinden sich die unteren Nasenmuscheln, welche unsere Atemluft befeuchten und erwärmen. Bei Entzündungen der Siebbeinzellen aber übermässig anschwellen können. Das Ergebnis ist eine verstopfte Nase. Wenn dieser Zustand lange genug andauert, können darin Bakterien gedeihen und Infektionen verursachen. Polypen sind eine Sonderreaktion, welche unabhängig von Infekten die Nase verstopfen und uns das Leben schwer machen und im fortgeschrittenen Stadium auch zu Lungenreizungen und Asthma führen. 

Die Folge sind eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit, eine stark reduzierte Lebensqualität und ein verminderter bis fehlender Geruchssinn. Als Langzeitfolgen können chronische Infekte und eine Verminderung der Lungenfunktion entstehen. 

Diagnostik und konservative Behandlung
Polypen erfordern eine Zusammenarbeit von Nasen- und Lungenspezialist. Meist kommen Patienten mit einer verstopften Nase zum Hals-Nasen-Ohrenarzt (ORL), wenn der Husten und schweres Atmen im Vordergrund stehen auch zum Lungenspezialisten. Die Behandlung erfordert ein Teamwork um Lebensqualität und Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. 

Die Aufgabe des Rhinologen (Nasenspezialisten) ist die Diagnostik mit Endoskopie der Nase (Untersuchung der drei Nasenteile), Prüfen der Atmung und des Geruchsinns und je nach Befund( vorher Ausmass) Bildgebung mittels Computertomogramm der Nebenhöhlen um die Ausdehung der Erkrankung im Nebenhöhlensystem zu erkennen. In seltenen Fällen können die Polypen verändert sein und das umliegende Gewebe angreifen, oder aber hinter den Polypen versteckt sich eine bösartige Veränderung, welche die Grenzen der Nase angreift. Da unmittelbar an die Nase das Gehirn, die Augen und grosse Gefässe grenzen, ist das frühe Erkennen einer solchen Entwicklung wichtig. Polypen selbst verursachen in der Regel keine Schmerzen. Schmerzen oder blutiges Sekret treten bei Infekten oder eben bösartigen Formen von Polypen auf. Eine Blutentnahme kann helfen, Systemerkrankungen oder Begleiterkrankungen wie Störungen des Immunsystems (Allergien, Autoimmunerkrankungen, Immunschwächen) zu entdecken. Hier ist die Zusammenarbeit mit Immunologen oder Rheumatologen wertvoll. 

Als erstes erfolgt die Behandlung mit in der Nase angewendeten Medikamenten (topische Steroide) und Spülungen mit meersalzartigen Wasserlösungen. Diese helfen auf natürliche Weise, die Schleimhaut in ihrer Selbstreinigung zu unterstützen. Die Steroide verhindern das Auftreten der eosinophilen Granulozyten, welche die Reaktion auslösen.
Die Krankheit wird durch diese Behandlung eingedämmt, wenn damit Beschwerdefreiheit erreicht wird, kann diese als Dauerbehandlung eingesetzt werden. Moderne Steroidsprays haben keine schädliche Langzeitwirkung auf den Körper und sind mit dem Fluor in der Zahnpasta vergleichbar. Zu unserem modernen Leben gehört ja auch die tägliche Pflege der Zähne. 

Nebenhöhlenchirurgie – Ethmoidektomie
Häufig genügt die reine Behandlung durch Medikamente und Sprays  nicht und es sind chirurgische Schritte erforderlich, um das Übel bei der Wurzel zu packen. Diesen Zustand bezeichnet man als „Nicht-kontrollierte chronische Nebenhöhlenentzündung mit Polyposis nasi“. Bis etwa zur Jahrtausendwende, war die Operation der Nebenhöhlen technisch nicht befriedigend. Mit moderne Techniken können aber Erfolgsrate von über 90% erzielt werden. Dank intravenöser Anästhesie mit der Kontrolle des Blutdrucks während der Operation, moderner hochauflösender Optiken und Kamerasysteme sowie verfeinerter Instrumente, können die Nebenhöhlen mit geübter Hand so geöffnet werden, dass die Risiken einer Operation in den Promillebereich zurückgedrängt werden konnten. Dennoch, jede 

Operation erfordert volle Konzentration und ein immerwährendes Prüfen jedes einzelnen Schrittes während der millimeterweisen Abtragung des Siebbeinzellsystems, welches der Auslöser der Erkrankung ist. Polypen müssen an der Wurzel gepackt werden, somit muss der ganze Raum der Siebbeinzellen sauber geöffnet werden, damit die erkrankte Schleimhaut nach Abheilung zur Ruhe kommen und richtig gepflegt werden kann. (Bild Polypen und freie Ethmoidalschächte mit mittlere Muschel). Technisch besteht die Tendenz, die mittlere Muschel als Teil des Ethmoidalsystems bei einer Polypenerkrankung mit zu entfernen. Ein Schritt, welcher zu deutlich besseren Ergebnisse mit besserer Belüftung der Riechrinne und besserer Selbstreinigung führt. Da es sich bei einer Polyposis nasi um eine Systemkrankheit handelt, muss auch bei Beschwerdefreiheit die Nase weiter gepflegt werden – eben wie Zähne auch regelmässig geputzt werden müssen. Der klassische Eingriff bei Polypen wird im Fachjargon „Frontosphenoethmoidektomie“ genannt, teils erweitert mit Teilresektion der mittleren Muscheln. 

Ethmoidektomie mit transseptaler Stirnhöhlendrainage
In wenigen oder fortgeschrittenen Fällen mit zusätzlich starker Reaktion auf Umgebungsreize – wir leben in der Alpenregion in einem Reizklima – muss ein erweiternder Eingriff mit Öffnung der Stirnhöhlen durchgeführt werden. (Bild nach abgeheilter Operation, Bsp Ley)
Die Stirnhöhlen sind im Gegensatz zu den übrigen grossen Nebenhöhlen an ihrer Basis ebenfalls mit immunaktiver Schleimhaut bedeckt und ein Nadelöhr. Während die übrigen Nebenhöhlen sich nach einem Eingriff gut reinigen lassen, kann der Übergang so eng sein, dass Pflege und Medikamente nicht bis in diesen Bereich eindringen können. Polypen bilden sich im Engpass weiter und verstopfen die Stirnhöhlen und reizen weiterhin die Lunge. Um dieser Situation Herr zu werden wurde eine Technik entwickelt, die Trennwand der Stirnhöhlen über der Nasenscheidewand abzutragen. Damit wird eine genügend grosse Öffnung erzeugt, dass auch hier die Belüftung so gut wird, dass Medikamente bis in den hintersten Winkel vordringen können und die Krankheit so ebenfalls kontrolliert werden kann. 

Die Techniken wurden in den 90er-Jahren entwickelt, aber erst in diesem Jahrzehnt Dank der Hilfe hochauflösender optischer Systeme und feinerer Instrumente sowie Bohrinstrumente so verfeinert, dass ohne grosse Belastung gute und bleibende Ergebnisse erzielt werden konnten. 

Die Nebenhöhlenchirurgie ist eine faszinierte Sparte der modernen Medizin, welche in den letzten dreissig Jahren eine Entwicklung durchgemacht hat wie die Mobilität von der Erfindung des Rads bis zum modernen schadstoffarmen Auto. Zum Wohl der Betroffenen – wie auch zur Freude von uns Chirurgen. Dennoch, ohne richtiges Verhalten (Erkennen und Behandeln von Begleiterkrankungen, kein Nikotin, konsequente Pflege und Vermeidung von Reizen) nützt auch die beste Technik nichts. Das Teamwork von Patient und betreuenden Ärzten bleibt für den Erfolg entscheidend. Damit konnte die Heilungsrate von ca. 60-80% in den 90er-Jahren auf über 95% heute erreicht werden. Die restlichen 5% bleiben eine Herausforderung bei denen die Hoffnung auf modernen immunologische Entwicklungen (Biologika) ruht.